Übertragungsphänomene - Angehörige leiden mit

Angehörige von psychische kranken Menschen sind oft genau so betroffen von den Leiden ihrer Verwandten, Freunde, Partner und erste weitere Leidtragende der Situation. An ihnen fällt vieles ab, sie müssen oft die Folgen vorangegangener Verbrechen an ihren Liebsten ertragen.

So erleben sich zum Beispiel die Partner von Männern und Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren mussten, selbst in die so verhasste Täterrolle gedrängt. In besonderen Situationen, in denen die traumatische Szene für die Partnerin oder den Partner plötzlich wieder lebendig wird, schlagen diese – sich der neuen Situation völlig unbewusst – wild umher, beschimpfen oder schreien die Person gegenüber an oder reagieren konträr, ziehen sich völlig verschreckt zusammen und erstarren. All diese Szenarien sind für die nicht traumatisierten PartnerInnen schwer nachvollziehbar und werden auch, gerade am Anfang, nicht erkannt oder völlig falsch eingeschätzt.

Erfahren Sie im Rahmen der Psychoedukation Hintergründe über Reaktionen des menschlichen Geistes nach erlebten Traumata. Tauschen Sie sich in von uns geleiteten Gruppen mit anderen Angehörigen und Verbündeten aus und lernen Sie immer mehr Ressourcen kennen, um mit diesen Situationen Ihrer Geliebten umzugehen.

„Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bilde etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“ (Hermann Hesse in „Demian“)

Übertragung und Gegenübertragung im Alltag
Übertragung bedeutet, dass Menschen – oft unbewusst – Gefühle, Erwartungen und Beziehungsmuster aus früheren wichtigen Beziehungen (z. B. zu Eltern oder Geschwistern) auf andere Personen in ihrem aktuellen Umfeld übertragen. Das können Angehörige, Partner, Freunde oder auch Kollegen sein. Alte, meist aus der Kindheit stammende Gefühle werden sozusagen auf neue Beziehungen „übertragen“ und beeinflussen das aktuelle Erleben und Handeln.

Gegenübertragung beschreibt die emotionalen Reaktionen von Bezugspersonen auf die Übertragungen anderer. Auch diese Reaktionen sind oft unbewusst und entstehen als Antwort auf die Gefühle und Erwartungen, die jemand auf sie projiziert. Die Gegenübertragung kann sowohl von Empathie als auch von eigenen, unbewussten Themen geprägt sein.

Beispiele bei traumatisierten Menschen
Übertragung:
Ein Mensch, der in seiner Kindheit von einem Elternteil enttäuscht oder verletzt wurde, begegnet später seinem Partner oder einer Freundin mit großem Misstrauen, weil er (unbewusst) annimmt, auch diese Person könnte ihn verletzen. Die alten Ängste und Erfahrungen werden auf die neue Beziehung übertragen.

Gegenübertragung:
Der Partner oder die Freundin spürt daraufhin vielleicht selbst Unsicherheit oder fühlt sich abgelehnt, obwohl es objektiv keinen Grund dafür gibt. Sie reagieren emotional auf das Misstrauen, das ihnen entgegengebracht wird, und bringen möglicherweise eigene alte Erfahrungen in die Beziehung ein.

Was unterscheidet Übertragung von Projektion?
Projektion ist ein Abwehrmechanismus, bei dem eigene, unangenehme Gefühle oder Eigenschaften einer anderen Person zugeschrieben werden, um sie nicht bei sich selbst wahrnehmen zu müssen. Im Gegensatz zur Übertragung geht es bei der Projektion nicht um das Wiedererleben alter Beziehungsmuster, sondern um das „Abschieben“ eigener Gefühle auf andere.

Beispiel Projektion:
Ein Mann, der selbst wütend ist, erkennt diese Wut nicht bei sich, sondern behauptet: „Du bist ja sauer, ich bin es bestimmt nicht!“

Beispiel Übertragung:
Eine Frau nimmt an, ihre Schwester sei genauso kritisch wie die Mutter früher – obwohl es objektiv keine Hinweise darauf gibt. Sie reagiert auf die Schwester mit denselben Gefühlen wie damals auf die Mutter.

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